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Marco Rosci,

Stadteinsamkeiten

Alberto Sughi, Wartesaal

 

Ein besonderes Charakteristikum Sughis bildet die Tatsache, da£ er sich offentlich vorstellt

- oder vorgestellt wird - als ob seine Malerei in seinem 30. Lebensjahr entstanden ware. Die Ausstellung von Ferrara begann mit Neve efuliggine (Schnee und Rus) aus dem Jahre 1958 (hier ausgestelltnurein vorherentstandenes Bild, und zwar Sala d'aspetto- Wartesaal

- aus dem Jahre 1957; als wollte man mit der tiefen existentiellen Melancholie beginnen, die in der Authentizitat ihrer Anzeige nicht geftigig, sondern streng ist, als wollte man mit dem burgerlichen Interieur beginnen, bevor man zum Exterieur der Auteenseiter iiber-geht). Bereits 1965 fing aber die erste, von Giuseppe Raimondi verfaEte Monographie des Kiinstlers mit den Werken aus dem Jahre 1957 an.

Ob es sich dabei um eine Selbsteinschatzung des Kiinstlers handelt oder um die objektive Tatsache, dalS die ersten Einzelausstellungen in den zwei Stadten gezeigt werden, die ei-nen kulturell wesentlichen Anhaltspunkt bilden, namlich in ,,Il Pincio" von Rom (1957) und in der Bergamini von Mailand (1958) - Ausstellungen, die von den ersten, bedeutsa-men Deutungen von seiten der Kunstkritiker Del Guercio, Trucchi und Valsecchi begleitet werden - dennoch steht fest, date dieser Beginn von mehr als einemJahrzehnt Malerei zwi-schen der Geburtsstadt des Kiinstlers und Rom absieht.

Im italienischen Realismus

Diese einzelnen Manner oder Frauen, die sowohl blut- als auch seelenlos sind, oder die mi-teinander nicht kommunizierenden Gruppen auf der StraEe, im Kino, oder in einer Bar, diese Schatten oder Gespenster des Wirtschaftswunders - sie eroffnen das Gesprach so wie

es in Ferrara eroffnet wurde, in diesem neuen Museumsgebaude am Rande des unbeschrei-blichen Bauhaufens, den gerade dasselbe Wunder entstehen liels, und zwar als eine Beule, die von jenen von Legnano und Castellanza nicht zu unterscheiden ist. Ihre bereits ausge-reifte Gegenwart im Kontext des italienischen Realismus, ihre eigentumlichen Vorschlage einer neuen Stadtdarstellung (Del Guercio sprach gleich von Stadtmalerei) verdanken sie eben den besonderen kulturellen Akzenten jener Vorgeschichte. Diese Akzente gingen von einer vor allem malerischen Aufmerksamkeit fur eine realisti-sche Tendenz in der Art des 19. Jahrhunderts aus, die nicht ausgesprochen sozialgerichtet war und die von Toma iiber De Nittis bis zu Boldini reichte, wie es Bossaglia zurecht be-merkt hat. Sie stellten im ubrigen einen Zusammenhang mit jenen existentiellen Seiten des nichtideologischen Realismus her (wobei sie aber mit unveranderter Kraft die Enttau-schungen jeder Hoffnung anzeigen): von dem romischen ,,Gruppo del Portonaccio" mit Muccini und Vespignani zu den Mailandern, ohne dabei die Tradition der noch durch Zi-veri verkorperten romischen Schule auszuschlieJSen.

Eine auserlesene Malerei, die aber gleichzeitig von ,,Asche und Gift" durchdrungen ist, die hinter der aulseren Hiille der Arbeit oder sogar der traditionellen Alchimie zwischen Farb-pulver und Oxyden neue technologische Fluoreszenzen, Rhythmen und filmische Ebe-nen-Sequenzen vorschlug. Es entstand bereits einerseits die erzahlerische Sicht (immer mit Aufregung erftillt und nicht nur als Dokumentation, wie es bei Guttuso oft der Fall ist), eine Sicht, die sich in Sequenzen, in Zyklen entwickelt, und andererseits das umfassende, acht-same 'kulturelle Bewufitsein', das zwischen der italienischen Tradition und einem weitge-henden Blick auf die Formen des Realismus in der Malerei seines Jahrhunderts in Europa und in den Vereinigten Staaten balanciert.

Amerika-Verwandtschaften

Lorenza Trucchi begriff bereits 1957 die Verwandtschaften mit den Realisten der ,,ameri-kanischen Szene" des New Deal, mit Hopper und Levine. Die blaEblaue Einsamkeit der Personen im Kino oder in der Bar (Uomini al cinema oder al bar), der Liebenden auf aufge-deckten Betten aus der ,,Chronik einer Liebe" verbindet die amerikanische Depression mit den Alptraumen des zweiten deutschen Expressionismus von Grosz und Dix. Als neues Element taucht aber fruhzeitig ein ,,Vibrato" auf, sowie eine phantasmagorische Loslosung von der Gegenstandlichkeit des Bildes, die es erlaubt, die Malerei Sughis in Richtung jener von Bacon und auch von Lucien Freud, Petlin und Sutherland einzuordnen. Damit meine ich eben eine Einordnung und nicht eine Abhangigkeit: Eine Einordnung, die es dem Kiinstler und seiner zyklisch-thematischen Spezifizitat eines im Verfall begriffe-nen Italiens ermoglicht, eine dritte Malinstanz zwischen Guttuso und Vespignani vor-zuschlagen. Eine Mai-, und gleichzeitig Moralinstanz.

Ein scheinbarer Ruckzug

Ein einziger Ausstellungsraum bietet den Vergleich zwischen der schmerzli-chen, krassen und illusionistischen Wirklichkeit von La cena (Das Abendessen) aus dem Jahre 1976 ( 1 Zu dem Abendessenschrieb Lajolo folgende Verse: ,,Deine neuen Leinwandbilder waren dabei, /eine ekstatische tragische Er zahlung abzuwickeln / das letzte Abendessen eines ausgezehrten Burgertums"; und Scola verlangte einige Leinwandbilder fur das Plakat der ,,Terrazza". ) und der ungeriihrten Barmherzigkeit mit dem Menschen, und der Erinnerung, in den Leinwandbildern aus dem Zyklus von La famiglia (Die Familie) aus dem Jahre 1981 an.

Das letzteJahrzehnt ist nur scheinbar durch Sughis Riickzug in sich selbst gekennzeichnet. In Wirklichkeit verwandelt sich die existentielle Angst/Verurteilung der Stadteinsamkeit (die Einsamkeit im Cafe taucht aber am Ende wieder auf, und sie kniipft sogar an die Blaue und an die Rosa Periode Picassos an) in eine vornehme, melancholische und universalere Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umweit, zwischen dem Paar und dem Sonnenuntergang am Meer oder dem Garten, zwischen dem Maler, dem Modell und dem Halbschatten des Ateliers, das mit malerischen Erregungen expressionistisch erfullt ist - es ist die von Sughi erzielte Beziehung zwischen dem Reichtum seiner Malerei und seinem ganzen Jahrhundert, seinen Wurzeln bei den grolsen Alten, namlich bei Munch und Bon-nard.

Marco Rosci

(aus ,,La Stampa", 22. April 1991 )

 

ALBERTO SUGHI: BIOGRAPHISCHE NOTIZEN

Alberto Sughi wurde 1928 in Cesena geboren. Seine Auseinandersetzung mit der Malerei war vom Anfang an durch eine rege Aufmerksamkeit fur die existentiellen Schwierigkeiten des Individuums in seiner Beziehung zur Gesellschaft und zu sich selbst gekennzeichnet, und sic hat in Bildern Gestalt angenommen, die oft durch angst-voile oder beangstigende Erregungen charakterisiert sind.

Seine Arbeit fesselte sehr bald die Aufmerksamkeit der Kunstkritiker und lieE Wissenschaftler und Essay isten ver-schiedener Orientierung zu einer bedeutsamen Ubereinstimmung kommen. Die Werke Sughis wurden in alien wichtigsten Ausstellungen zeitgenossischer Kunst - von der Quadriennale in Rom zur Biennale in Venedig - so-wie in vielen Ausstellungen gezeigt, die im Ausland den Weg der italienischen Kunst von den 60er Jahren bis heute prasentiert haben. Umfassende Werkauswahlen wurden in italienischen und auslandischen Museen ge­zeigt, wie: die Galleria d'Arte Moderna in Bologna, die Galerie JVlanesh" (Manege) in Moskau, das Museum der Bildenden Kiinste in Budapest, die Nationalgalerie in Prag, das Museo Nazionale von Castel S. Angelo in Rom. der Palazzo dei Diamanti in Ferrara, das Masp in Sao Paulo (Brasilien) usw. Er lebt und arbeitet in Rom.

Ausgewahlte Werke Alberto Sughis wurden in folgenden Museen und Galerien gezeigt:

1970 Palazzo del Popolo, Todi

1977 Galleria Comunale d'Arte Moderna, Bologna

1978 Galerie ,,Manesh" (Manege), Moskau

1984 Palazzo Reale, Caserta

1985 Palazzo Comunale, Anagni Palazzo Paolina, Viareggio

1986 Castel S. Angelo, Rom

1987 Museum der Bildenden Ktinste, Budapest Nationalgalerie, Prag

Palazzo del Ridotto, Cesena Villa d'Este, Tivoli

1988 Galleria Civica d'Arte Moderna, Palazzo dei Diamanti, Ferrara Loggia del Palazzo dei Priori, Volterra

Palazzo Casali, Cortona

1990 Cassero della Fortezza Medicea, Grosseto Casa Masaccio, San Giovanni Valdarno

1991 Museo delle Arti, Palazzo Bandera, Busto Arsizio

1992 ,,Profili" XII. Quadriennale, Palazzo delle Esposizioni, Rom

1994 Kunstmuseum Assis Chateaubriand, Sao Paulo, Brasilien Museo Historico Nacional, Rio de Janeiro, Brasilien Palazzo dei Papi, Viterbo

1995 Rifugio Gualdo, Sesto Fiorentino

 


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